Leipzig
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Ankunft im Alt-Connewitz
Das Hotel Alt-Connewitz liegt im Auge des Sturms. Connewitz war in der Vergangenheit wegen vieler Proteste und Aufstände in den News. Bei meiner Ankunft war der Stadtteil trotz sehr gutem Wetters wie leergefegt. Die vielen Graffiti hier tragen zum Charme des Stadtteils bei, wie eine Ableitung von Berlin. Weniger kaputt, aber mit ähnlicher Wut und politischem Willen. Die Botschaften an den Wänden sind anders als in Frankfurt, obwohl ich auch einen Offenbach Schriftzug gefunden habe.

Am Nachmittag wurde mir gezeigt, warum anscheinend niemand in Connewitz war. Ich setzte mich zum Essen in ein Restaurant, das eine internationale Auszeichnung für das beste Wiener Schnitzel außerhalb Wiens erhalten hatte. Dieses leider sehr mittelmäßige und dafür auch teure Schnitzel wurde immerhin dadurch entschuldigt, dass ich 45 Minuten lang Unterhaltung beim Essen genießen durfte. Wahrscheinlich ganz Connewitz hatte sich im Leipziger Zentrum versammelt, um aufgrund der anstehenden Landtagswahl in Sachsen gegen den Faschismus zu demonstrieren. Die Menschenmassen liefen eine Dreiviertelstunde ohne Pause laut skandierend an mir vorbei.
Das Völkerschlachtdenkmal ist wirklich beeindruckend groß und hat mich total überrascht. Es wirkt durch den Aufbau des Geländes wie eine Art deutsches Taj Mahal. Neben dem Denkmal befindet sich ein Friedhof. Zufälligerweise fand dort eine Freiluftfotoausstellung des Fotografen Gerd Lehmann statt. Eine Menge toller Bilder wurden hier zwischen den Bäumen von Lehmann persönlich aufgehängt.


Konzert im UT
Der eigentliche Grund meiner Reise war das Konzert von Emma Ruth Rundle im UT Connewitz. Tagsüber habe ich mich in der Nähe der Location aufgehalten, weil ich hoffte, ich kann Emma zufällig treffen. Ich habe das Poster von der Eingangstür auf Instagram gepostet und Emma hat es gesehen, repostet und kommentiert, dass es ihre liebste Location überhaupt sei. An dem Punkt stieg meine Neugier und die Vorfreude auf die Location natürlich riesig. Ich begab mich wieder in die Innenstadt ins Café Riquet, bekannt als “der Elefant”, weil dieses auffällige turmartige Gebäude im Jugenstil gestaltet und mit einem Elefantenkopf an der Fassade ausgestattet ist, und nahm einen sehr guten Cheesecake mit einem leckeren Chai zu mir. Anschließend besuchte ich Whisper’s Records im “Feinkost”, einem alten Fabrikgelände neben einem Spielzeuggeschäft. Auf dem Gebiet des Feinkosts gab es noch einen Orthopäden, eine Art Bühne für Auffühungen mit alten Kinositzen im Freien. Whisper’s Records ist ein Schallplattenladen, den Emil Amos in Drifter’s Symathy empfahl, als sein Go-To-Plattenladen, wenn er in Deutschland tourt. Ich habe daher also viel erwartet und wurde trotzdem noch positiv überrascht. Ein echtes Paradies, das mich arm machen würde, wenn ich es einfacher besuchen könnte. Ich kaufte die letzte verfügbare Platte von Grails – Chalice Hymnals und erzählte dem Verkäufer von Emils Empfehlung. Er konnte sich nicht erklären, warum gerade sein Laden empfohlen wurde, aber war sichtlich erfreut. Gleichzeitig kam gerade die neue Lieferung herein, die er nebenbei auspackte, als ich ihm erzählte, dass ich aus Offenbach komme. “Oh, das ist ein hartes Pflaster”, meinte er und ich sah, dass er neue Platten von Emma Ruth Rundle auspackte. Ein weiterer glücklicher Zufall für mich, ich griff zu und war nun also auch Besitzer der großartigen Collab-Platte von ERR und Thou (mit 5€ Rabatt, weil ich mich so gut mit dem Inhaber verstand).


Das Konzert am Abend war eine perfekte Erfahrung. Das UT Connewitz ist ein altes Theater, mit dem exakt richtigen Grad an “heruntergekommen”, ohne kaputt zu wirken, aber echten Charme zu versprühen, kam an diesem Abend auch Szenepublikum in typischer Kleidung der Punks, Metaler und Goths. Eine super spannende Mischung von interessanten Leuten, die alle gespannt und friedlich auf den Auftritt warteten. Jon Samuel Ardron machte den Support, er saß schräg am Piano, man konnte mehrheitlich seinen Rücken sehen. Sein 32-minütiges Stück spielte er souverän und stimmte uns perfekt auf ERR ein.
Emma hatte nur ihre Akustikgitarre dabei und wurde nur vom Projektor begleitet, der passend zum Album “Some Heavy Ocean” Wellen-Ästhetik einspielte. Sie sprach mit dem Publikum und war währenddessen sichtlich nervös. Beim Singen war sie umso stärker und hat eine unvergleichlich intensive Atmosphäre geschaffen.

Lost Place MDR
Ein erneuter Zufall brachte mich zum MDR. Ich bin schlicht in die falsche Bahn eingestiegen und bei der nächsten Haltestelle ausgestiegen, bei der mir der Fehler auffiel. Neben dem MDR befindet sich eine recht große Ruine, überwuchert und verkommen, offensichtlich von Skatern und Punks genutzt, aber absolut menschenleer, als ich sie zufällig fand. Ein perfekter Ort für Fotos: keine Absperrbänder, keine Warnschilder. Selbst die zwei Arbeiter in Warnwesten, die dort patroullierten und mich mit meiner Kamera gesehen haben, sind rasch verschwunden, ohne etwas zu sagen. Am Abend bei Pizza Kruste gegessen. Sehr lecker und super faire Preise!



Rückfahrt und Fazit
Um Zeit totzuschlagen bin ich in einen anderen Plattenladen gegangen, Strawberry Records, deutlich kleiner und moderner eingerichtet, aber trotzdem mit einem unglaublich guten Angebot, sodass ich hier erneut zwei Platten kaufen musste. GYBE und Sleeping People! Kurz bevor ich zum Bahnhof musste, habe ich noch das T2 Sushi Master aufgesucht. Sehr schön eingerichtet und super lecker. Die Inhaberin sagte mir sogar, dass sie zuvor in FFM waren, aber wegen der steigenden Mieten sind sie nach Leipzig gezogen und haben ihr Sushi Restaurant erst vor 2 Wochen eröffnet.


Leipzig selbst hat überraschend viele große, schöne Gebäude. Die Stadt ist sehr gut zu Fuß zu erkunden. In den drei Tagen habe ich knapp 60.000 Schritte zurückgelegt. Connewitz hat mich sehr beeindruckt. Essen ist vielfältig, lecker und preislich ok. Die Menschen waren sehr freundlich, nicht arrogant oder aufdringlich. Das UT und die Plattenläden alleine sind für mich schon ausreichende Gründe, unbedingt wiederkehren zu wollen.